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Dienstag, 13. Mai 2014

Feuerkraft mit der Kurzwaffe

Bonn (ww) Kampf mit der Kurzwaffe – acht bis 15 mal den Gegner mit Schreckschüssen verstören und dann mit einem gezielten Wurf ausschalten.
Colt M45A1 CQB im scharfen Schuss. Foto: USMC

Nein! Die Zeiten, in denen die Pistole eher als Erkennungszeichen militärischer Führer diente oder Großgerätebedienern, Piloten und sonstigem Spezialpersonal eine vage Verteidigungsmöglichkeit an die Hand geben sollte, gehören allmählich der Vergangenheit an. Das spiegelt sich nicht zuletzt in gründlicherer Ausbildung und neuen Beschaffungen wider.
In vielen Streitkräften dient die Pistole inzwischen querschnittlich als Zweit- oder neudeutsch „Backup-“ Waffe. Fällt die Hauptwaffe – in der Regel das Sturmgewehr – im Feuerkampf aus, kann ein geübter Schütze den Gegner mit der Pistole zumindest kurzfristig niederhalten. Zudem lässt sich die Kurzwaffe in beengten Umgebungen wie in Fahrzeugen, Flugzeugen, an Bord von Schiffen oder im urbanen Gelände schneller in Anschlag bringen und einsetzen, als eine Langwaffe. Weiterhin erfüllen Pistolen spezielle Zwecke, vor allem in Verbindung mit Schalldämpfern.
Norwegischer Soldat mit HK416 als Haupt- und Glock17 als Zweitwaffe. Foto: MoD Norwegen
Die gestiegene Bedeutung der Pistole erfordert natürlich eine deutlich sorgfältigere und intensivere Schießausbildung als bisher. Im Rahmen des neuen Schießausbildungskonzeptes (nSAK) setzt dies auch die Bundeswehr um. Das intensivere Training bringt es wiederum mit sich, dass die früher auf zehn- bis fünfzehntausend Schuss Lebensdauer ausgelegten Kurzwaffen schneller verschleißen. Ein weiterer Faktor bei der Kurzwaffenbeschaffung ist der in Konsequenz des „Lady statt Lücke“-Ansatzes gestiegene Soldatinnen-Anteil in den nachwuchssorgegeplagten westlichen Streitkräften. Da die weiblichen Kameraden oft kleinere Hände haben, können sie die Standard-Kurzwaffen oftmals nicht richtig greifen – und haben so klare Nachteile beim Treffen. All das resultiert in umfangreichen Neubeschaffungen bei Streitkräften weltweit.

Konventionelle Kurzwaffen
Kurioserweise setzen viele Streitkräfte auf weitgehend konservative Kurzwaffenkonstruktionen. So bestellte die U.S. Army erst im September 2012 bei Beretta 100.000 Stück des 1987 als M9 eingeführten Modells 92F. Das U.S. Marine Corps beschaffte im Juli 2012 für seine Fernspäh- und Spezialkräfte 12.000 Colt M1911A1 Rail Guns als neue “M45A1 Close Quarter Battle Pistol (CQBC)”
Colt M45A1 CQB. Foto: JPW
Die Waffe basiert auf dem über 100 Jahre alten, aber bewährten Design der von John Moses Browning entworfenen Single-Action-Pistole im Kaliber .45 ACP (11,43 x 23 mm), die 1911 Standardwaffe der US-Streitkräfte wurde. Dieser Schritt wäre freilich noch zu toppen: Man stelle sich vor, daß sich das deutsche Kommando Spezialkräfte der Marine die 1904 von der Kaiserlichen Marine eingeführte, von Georg Luger konstruierte Pistole 04 mit Kniegelenkverschluss wieder auf Kammer legen würde! Immerhin verfügt die moderne Version der M1911A1 aber über eine modifizierte innenliegende Schlagbolzensicherung sowie eine modernere Schließfeder, um den Rückstoß zu reduzieren – was sich bei einem ersten S&T-Blog-Probeschießen auf einer US-Range bei Las Vegas im Januar 2013 sehr angenehm bemerkbar machte. Weiterhin besitzt das Griffstück eine integrierte Mil-Std 1913-Schiene, um z. B. Laser-Licht-Module aufnehmen zu können. Handhabungsrillen im vorderen Bereich des Verschlusses erleichtern die Ladekontrolle. Etliche Teile aus rostfreiem Stahl, eine Ceracoat-Beschichtung und die sandfarbene Farbgebung sollen vor Korrosionsschäden und Lichtreflexionen schützen. Colt Defense fertigt die Waffen in seinem Werk in West Hartford, Connecticut und liefert sie bis 2017 aus. Insgesamt beläuft sich der Vertragswert für die Pistolen, Ersatzteile sowie logistische Unterstützung auf 22,5 Millionen US-Dollar.
Weitere Waffen im US-Pistolenarsenal sind die bewährte SIG Sauer P226 (alias MK-25) in 9 x 19 mm sowie die Heckler&Koch USP Tactical Compact im Kaliber .45. Beide Modelle werden hauptsächlich von Spezialkräften genutzt.

Global Glock
Gaston Glocks Pistole 17 zählt nach wie vor zu den am meisten genutzten Dienstpistolen. Das österreichische Bundesheer machte den Anfang. In den Streitkräften der Alpenrepublik ist die Neun-Para-Waffe mit dem Safe-Action-Abzugssystem als P80 bekannt. Weiterhin dient sie in Dänemark, den Niederlanden, Norwegen, den USA und vielen weiteren Staaten. Als jüngster Nutzerstaat kam kürzlich Großbritannien hinzu. Die Streitkräfte ihrer Majestät beschaffen sie in der Ausführung Generation 4 als Standard-Kurzwaffe.  Die Glock 17 Generation 4 zeichnet sich vor allem durch anpasspare Griffgrößen aus.
Glock 17 Gen 4 mit austauschbaren Griffrücken. Foto: Glock
Sie löst die seit 1967 als „L9A1“ geführte FN Browning High Power ab. Hintergrund: Die Versorgbarkeit und Instandhaltung dieser klassischen Single-Action-Pistole mit 13-Schuss-Magazin erweist sich inzwischen als zu aufwendig. Zudem möchte man ein zeitgemäßeres Design und Funktionsweise. Zunächst sollen 25.000 Pistolen einschließlich Holstersystemen des italienischen Herstellers Radar in die Truppe kommen. Zu den ersten Empfängern zählen die in Afghanistan eingesetzten Kontingente. Die Lieferung erfolgt über Viking Arms, der Vertrag hat ein Volumen von neun Millionen britischen Pfund (10,9 Mio €). Die Entscheidung zu Gunsten der Glock fiel nach einer Testphase von etwa 18 Monaten. Neben der FN High Power dienen noch die Sig Sauer P226 (L105A1), P228 (L107A1) sowie die P229 (L117A1) in den britischen Streitkräften. Alle genannten Modelle verschießen ebenfalls die Neun-Para-Patrone.
Die Spezialkräfte der Schweizerischen Armee beschaffen ebenfalls Glock-Pistolen als neue Faustfeuerwaffen, während die übrigen eidgenössischen Wehrmänner weiter die SIG P220 alias Pistole 75 nutzen. Die Glock 17 konnte sich in einem Testverfahren, an dem das Armee-Aufklärungsdetachement 10, die Militärische Sicherheit sowie die Beschaffungsbehörde Armasuisse beteiligt waren, gegen die übrigen Mitbewerber durchsetzen. Zum Lieferumfang gehören Pistolen Glock 17 Generation 4 und Glock 26 Generation 4 – beide im Kaliber 9 mm x 19. Dazu kommen die auf die FX- und ATK-Trainingsmunition ausgelegten Versionen Glock 17 T und Glock 26 T.
In der Bundesrepublik sind die Deutsch-Wagramer derzeit vor allem bei Polizeibehörden im Einsatz. Hier dient eine u. a. mit Tritium-Visierung modifizierte Variante der Glock 17 als P9M (für „Maritim“) in der GSG9 der Bundespolizei.
Glock P9M (oben) und Glock 17 Generation 3. Foto: JPW
Diverse Spezialeinheiten der Polizeien des Bundes und der Länder haben zudem die Modelle 17, 19 und 26 in Nutzung.

Aus deutschen Landen
Angesichts der ausbildungsbedingten höheren Schussbelastungen ihrer Kurzwaffen beschafft die Bundeswehr inzwischen die Heckler&Koch P8A1 sowie die mit reinem Entspannhebel statt des kombinierten Sicherungs- und Entspannhebels ausgestattete P8 Combat A1.
P8A1 Combat (oben) und P8A1. Foto: JPW
Beide Varianten zeichnen sich durch verstärkte Verschlüsse aus und sind äußerlich sonst nicht von den Vorgängermodellen zu unterscheiden. Feldjäger und weitere Spezialisten erhalten zudem Heckler&Kochs neue P30. Die unter anderem auch in verschiedenen Varianten von der Bundespolizei, vom Zoll sowie der Polizei Hessen genutzte Waffe lässt sich durch unterschiedliche Griffstückeinlagen an unterschiedlich große Hände anpassen.
HK P30 mit Schalldämpfer und Laser-Licht-Modul (unten) und P30L. Foto: JPW
Die P30 passt darüber hinaus in vorhandene P8-Holster, auch in der Blackhawk „Serpa“-Baureihe – wie sie für den Einsatz beschafft wurde – sitzt sie gut. Neben der P8 befindet sich noch die P12 in den Arsenalen der Bundeswehr. Dabei handelt es sich um eine Variante der auf Schalldämpfergebrauch ausgelegten USP Tactical im Kaliber .45 ACP.
Zu den weiteren großen deutschen Traditionsherstellern zählen J.P. Sauer&Sohn/SIG Sauer sowie Carl Walther. Die bereits mehrfach erwähnten SIG-Pistolen gehören zur Ausstattung von Streitkräften weltweit und sind auch noch bei deutschen Polizeibehörden im Einsatz. SIG bietet für den spezialisierten Behördenbereich inzwischen auch seine längere P226 X-Five sowie die P226 mit Stahlgriffstück an.
P226 (oben) und P226 X-Five. Foto: JPW

Und auf der Enforcetac 2014 stellten die Eckernförder ihre mit Schlagbolzenschloss arbeitende P320-Modellreihe vor.
SIG P320-Modellreihe. Foto: JPW
Walther hat unter anderem seine P99 in verschieden Versionen an die Landespolizeien Bremen, Hamburg, Nordrhein-Westfalen, Rheinland-Pfalz und Schleswig Holstein geliefert.
Walther P99Q NL. Foto: Carl Walther GmbH
Auch die niederländische Polizei  reihte sich kürzlich in die Nutzerschar ein.

Weitere Waffen
Zu den Exoten der dienstlich geführten Kurzwaffen gehört sicherlich die STI Tactical 5.0. Diesen M1911-Klon gibt Dänemark an seine Spezialkräfte vom Jaegerkorpset aus. Noch relativ neu am Markt ist die zum Tawazun-Konzern (Vereinigte Arabische Emirate) gehörige Pistolenmanufaktur Caracal, die zum Teil auch im thüringischen Suhl – neben Oberndorf einer weiteren Wiege deutscher Handwaffenherstellung – produzieren lässt.
Caracal F mit modifiziertem Verschluss und "Quick-Sight"-Visierung. Foto: JPW

Belgien setzt gleich auf ein ganzes Waffensystem. So bestellte das belgische Verteidigungsministerium bei der Fabrique Nationale d‘ Armes de Guerre (FN) über 12.000 für die rasante Flaschenhalspatrone 5,7 x 28 mm ausgelegte Handwaffen. Die Pistole FN Five-seveN ersetzt künftig die FN High Power in 9 x 19 mm, die Bullpup-Maschinenpistole FN P90 tritt an die Stelle der Uzi, ebenfalls in 9 x 19 mm.
Waffensystem FN Five-seveN in 5,7 x 28 mm. Foto: JPW
Damit zeichnet sich in Belgien nach mehreren Jahrzehnten der Neun-Para-Nutzung ein Generationswechsel ab. Die Auslieferung der modernen Handwaffen soll bis 2014 erfolgen, der Liefervertrag umfasst weiterhin Zubehör und Munition. In Deutschland ist zwar die MP7 im ähnlich rasanten Kaliber 4,6 x 30 mm verfügbar, aber das ergänzende Pistolenprojekt P46 wurde aufgegeben.

Training, Training, Training!
Doch welche Kurzwaffe ist nun die beste? Einfache Antwort: Die, die man zur Verfügung hat, wenn es drauf ankommt – und wenn es eine prunkvolle Radschloss-Reiterpistole wäre. Doch alle Technik nützt nicht davor, sich vor dem Training zu drücken.
Der Ausbilder schießt die Übung mit der Pistole P8 vor. Foto: JPW
Zunächst gilt es, die reine Schießtechnik zu beherrschen: Greifen und Halten der Waffe, Visierbild herstellen, Haltepunkt finden, Abkrümmen, Abzugskontrolle/Trigger Reset, Nachhalten. Für sichere Schützen gehören anschließend – nach dem Motto vom Einfachen zum Schweren – Schießen aus verschiedenen Positionen und mit verschiedenen Anschlagarten, Schießen aus Deckungen, Schießen mit der schussschwachen Hand, Nachladetechniken, Transition von Kurz auf Langwaffe und vieles weitere mehr auf den Ausbildungsplan. Denn nur durch intensive Ausbildung kann man im Ernstfall nicht bloß Krach machen, sondern Feuerkraft entfalten und zielsicher treffen.



© by Jan-Phillipp Weisswange 2014. Der Artikel basiert auf meinem Beitrag in der Europäischen Sicherheit&Technik 11/2013, S. 69 ff. Im Laufe der nächsten Monate werde ich sowohl in der ES&T als auch hier über ausgewählte Kurzwaffenprojekte und weitere verwandte Themen in einer losen Artikelserie ausführlicher berichten.